Olga unterwegs: Im Interview mit Benjamin Cors

Betritt man unser Verlagsgebäude ist Olga Tsitiridous Gesicht das Erste, das einem vom Empfang entgegenstrahlt. Für uns lässt Olga aber immer wieder ihren Schreibtisch zurück und macht sich auf die Suche nach neuen, spannenden Stories über alles, was ein Bücherherz bewegt. Im Interview erzählt Benjamin Cors über sein neues Buch ›Schattenland‹, über Baudelaires ›Blumen des Bösen‹ und über das weitere Schicksal seines Helden Nicolas Guerlain.

Schreiben öffnet ein Fenster, frische Luft kommt herein, vielleicht auch ein paar Sonnenstrahlen oder der Duft von Regen.


Olga Tsitiridou (dtv): In Ihrem neuen Buch ›Schattenland‹ steht gleich auf der ersten Seite etwas ganz Wunderbares: »Ich habe nie an das Schicksal geglaubt, nie einen vorgegebenen Weg gesehen, der sich vor uns auftut, nur weil das, was wir als ›Fügung‹ bezeichnen, lächelnd seine Muskeln spielen lässt. Schicksal ist das, was wir mit unseren Händen schaffen…« Glauben Sie, dass Menschen ihr Leben selbst in der Hand haben? Und was ist das, was man als Schicksal bezeichnet?

Benjamin Cors: Ich glaube, dass es eine gewisse ›Passgenauigkeit‹ gibt, wenn es um Schicksal oder den Glauben daran geht. Jeder Mensch stellt seinen Kompass anders aus, meistens unbewusst. Der eine findet im Gedanken einer möglichen Vorherbestimmung Halt, für andere ist Fügung ein Begriff ohne Inhalt. Selbst in der Hand haben wir erstmal nur unsere persönliche Einstellung zu uns selbst, zum Leben, zu seinen Herausforderungen. Und in dieser Einstellung findet sich dann vielleicht auch die eigene Definition von Schicksal.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen in ›Schattenland‹, Charles Baudelaires ›Die Blumen des Bösen‹ eine besondere Rolle zu geben? Haben Sie eine besondere Beziehung zu diesem Werk?

Ich mochte die Idee, eine Stadt mit Poesie zu überziehen, mit Zeilen, die schön und irgendwie drohend zugleich sind. In ›Schattenland‹ tauchen über Nacht diese Zeilen auf Häuserwänden und Litfaßsäulen auf – übrigens nach einem echten Vorbild, denn ich habe mal in einer Stadt gewohnt, die regelmäßig mit Bibelzitaten vollgemalt wurde. In Baudelaires ›Blumen des Bösen‹ kann man nahezu ertrinken, die Poesie ist gleichzeitig dunkel und eben auch nachdenklich.

Bei den ›Blumen des Bösen‹ ist es ja so, dass irgendwie jeder diesen Titel kennt. Vielleicht, weil die Assoziationen dazu so bemerkenswert sind? Und dazu gehören sicher nicht nur Bilder von giftigen Fingerhüten und Engelstrompeten.

Dabei finde ich, dass es diese Bilder gar nicht unbedingt braucht. Von den Zeilen geht auch so eine gewisse Macht aus, eine Anspannung, die einen packt. Nicht ohne Grund war das Werk damals heftigst umstritten, zu vulgär, zu anmaßend, alles in allem zu niederträchtig. Und doch war es vor allem eine Kritik an den Zuständen der damaligen Zeit – und genau dort habe ich den Anknüpfungspunkt zu meiner Geschichte gefunden. »Der Poet« von Deauville will anklagen und merkt nicht, dass er selbst nur ein Werkzeug ist.

Wie verworren muss der Weg eines Menschen sein, damit er das wird: Ein »Werkzeug«.

Da sind wir wieder beim Schicksal: Es mag den Gedanken geben, dass all dies vorgegeben war, dass es schon immer diese Rolle des »Werkzeuges« werden sollte. Tatsächlich aber gibt es auf jedem Lebensweg Abzweigungen, Weggabelungen und Möglichkeiten, den Kompass neu zu justieren. In diesem Fall war vielleicht schon der Startpunkt schief gesetzt… im Übrigen wäre es meinem »Poeten« auch egal, das Schreiben seiner Zeilen steht für ihn über allem.

Aber man muss sich vor Ihrem »Poeten« fürchten. Wie passt das denn zusammen, Poesie und Grauen?

Wie jede Emotion braucht auch »Grauen« ein Vehikel. Also eine Umgebung, in der sie sich manifestieren kann, in der wir ihr beim Wachsen zusehen. Und natürlich darf dieses Vehikel nicht immer eine dunkle, kalte Nacht sein oder ein verlassenes Haus. Die Macht von Wörtern ist unbegrenzt, wenn sie erst in der richtigen Beziehung zueinander stehen. So kann ein wunderschöner Klang entstehen, oder eben eine dunkle Vorahnung, die erst zwischen und dann in den Teilen steht.

Wie sind sie denn auf die Idee gekommen, den neuen Fall von Nicolas Guerlain beim Filmfest von Deauville spielen zu lassen? Bei Deauville denkt man zunächst an eine endlose Strandpromenade und elegante Hüte. Und nicht an Serienkiller.

Die eleganten Hüte sind längst weitergezogen, die Strandpromenade und die steinernen Umkleidekabinen gibt es noch. Aber vielleicht liegt genau darin eine Begründung, dieser Blick auf womöglich bessere Zeiten, in der Luft liegt ein Hauch von Bedauern… und einmal im Jahr wird alles mit dickem Pinselstrich übermalt, mit grellen Farben, wenn das Filmfestival zu Gast ist und Hollywood vorbeischaut. Ich fand diese Mischung aus verblichener Nouvelle Vague und Jet Set-Atmosphäre ziemlich ideal. Finde ich bis heute, merke ich gerade…

Ihr Held Nicolas Guerlain ist ein charmanter, eigenwilliger Typ. Und für mich persönlich das Schönste an ihm: Er hat eine wunderbar melancholische Seite. Liegt es an seiner unerfüllten Liebe für Julie? Er ist auf der Suche nach ihr, findet sie wieder, verliert sie aufs Neue. Sie muten ihm ganz schön was zu. Wird es denn – irgendwann mal – eine Erlösung für ihn geben?

Seine Melancholie begründet sich erstmal rein technisch mit der Musik, die ich beim Schreiben höre. Wer einmal die ›3 Tage in Quiberon‹ gesehen hat, der wird wissen, was ich meine. Charakterlich ist sie sicher in ihm angelegt, ich würde es mal eine »unruhige Ruhe« nennen. Eigentlich ist er für die Wellengänge, die ich ihm zumute nicht gut genug gerüstet, sein Panzer ist arg löchrig. Als Autor ist jemand wie Nicolas ein Geschenk, man kann ihn entwickeln, seine Melancholie im Sinne eines spannenden Plots ausbauen. Julie hat natürlich ihre Rolle dabei. Und ob es Erlösung gibt? Für den Moment vielleicht, aber was ist schon ein Moment?

Ich habe eine Skizze gesehen, die Sie zu einem Ihrer Romane gemacht haben und muss sagen, sehr verwirrend. Gibt es denn Momente, in denen der Autor sich in seinem eigenen Buch verirrt?

Selbstverständlich, es ist ein einziger Irrgarten. Der eigene Anspruch, eine komplexe und herausfordernde Handlung zu bauen, ist natürlich gleichzeitig ein wahrhaftiges Problem. Ich erinnere mich noch an den Cliffhanger im ersten Band, für den ich bis zu Band 3 keine echte Lösung parat hatte. Erinnert mich ein wenig an die Macher der Fernsehserie ›Lost‹.

Was muss man eigentlich für ein Typ sein, um Personenschützer zu werden?

Geduld ist vermutlich eine ganz gute Grundausstattung, gepaart mit der Fähigkeit, nach stundenlangem Rumstehen immer noch kleinste Details aufmerksam im Blick zu haben. Vielleicht eben auch ein Gefühl für die Peripherie, für die Dinge am Rande der generellen Aufmerksamkeit. Mir gab diese Figur die Möglichkeit, einen stillen Beobachter zu entwickeln, der immer wieder aber auch in Aktion kommen muss – sogar mehr als ihm lieb ist …

Wären Sie gerne Ihr Held? Seltsame Frage, nicht?

Nein, eine wunderbare Frage! Aber ich glaube, ich bleibe da gern in der Rolle des literarischen Geburtshelfers. Was ich ihm aufbürde ist allerhand, das würde ich kaum aushalten. Und bei allem Faible fürs Melancholische, im echten Leben lache ich persönlich deutlich mehr als Nicolas. Aber würde die Frage lauten: Wären Sie gerne EIN Held? Dann ja, wer wäre das nicht gerne?

Herr Cors, wie geht es denn mit Nicolas Guerlain weiter? Er wird sich doch nicht ganz zurückziehen, um in der Normandie Wolkenformationen zu beobachten? Wobei man ihm das wünscht. Und das Glück mit Julie natürlich, wo auch immer sie grade steckt. Können Sie eine Andeutung machen?

Nicolas hat sich eine kleine Verschnaufpause verdient, gönnen wir sie ihm – und auch gerne mir. Und dann werden wir sehen, was passiert, in der Normandie, an den Küsten, im Hinterland. Mir fallen auf Anhieb noch zahlreiche schöne Schauplätze ein, aber ob dort etwas geschehen wird, was es wert wäre, aufzuschreiben? Wir werden sehen, das Betrachten von Wolken ist bis dahin aber sicher eine sehr entspannte Tätigkeit.

Schreiben – was bedeutet das für Sie?

Alles – das ist eine schrecklich pathetische Antwort und sie stimmt auch nicht. Aber Schreiben öffnet ein Fenster, frische Luft kommt herein, vielleicht auch ein paar Sonnenstrahlen oder der Duft von Regen. Was auch immer es ist, es passiert etwas. Vielleicht ist es das: Wer schreibt, dem passiert etwas. Meine einfache Antwort auf diese Frage ist immer: Denk ich ans Schreiben, muss ich lächeln. Ich finde, das ist schon ziemlich viel.

Das Interview führte Olga Tsitiridou.