›Nichts. Was im Leben wichtig ist‹ von Janne Teller
Eine Empfehlung von Julia Malik, dtv Lektorat Reihe Hanser
Wie viel Sinn macht unser Leben? Hat unsere Existenz eine Bedeutung? Es sind diese und andere große Fragen, die sich die Autorin Janne Teller in ihrem preisgekrönten Jugendroman ›Nichts. Was im Leben wichtig ist‹ stellt. Entstanden ist ein radikales Buch, das nicht nur die Protagonisten, sondern auch die Leser an ihre Grenzen führt. Ein Stück Literatur, das den Nerv der Jugendlichen trifft.
Verglichen wurde ›Nichts. Was im Leben wichtig ist‹ mit Klassikern wie ›Die Welle‹ und William Goldings ›Herr der Fliegen‹. Zu Recht. Denn auch Janne Teller erzählt die Geschichte einer dramatischen Eskalation, beschreibt, wie aus einer harmlosen Idee Fanatismus, Hass und Gewalt entstehen können. Aber der Reihe nach …
In einer siebten Klasse in einem kleinen Dorf in Dänemark verlässt ein Schüler, Pierre Anthon, eines Tages den Unterricht mit den Worten »Nichts bedeutet irgendetwas. Deshalb lohnt es sich nicht, irgendetwas zu tun.« Zurück bleibt eine Klasse im Schockzustand. Kann es wirklich sein, dass alles, was noch vor ihnen liegt, alles, was sie sind und was sie ausmacht, bedeutungslos ist? In einem Pflaumenbaum sitzend schmettert Pierre Anthon seinen Mitschülern weitere Weisheiten entgegen: »Alles ist egal. Denn alles fängt nur an, um aufzuhören. Das Leben ist die Mühe überhaupt nicht wert.« Pierre Anthon, der Nihilist, ist eine Provokation, und er raubt seinen Mitschülern das Wichtigste, was sie besitzen: den Glauben an ihre Zukunft.
Was dann geschieht, könnte die harmlose Antwort auf ein Leben in der Verweigerung sein, doch Janne Teller macht mehr daraus: Um Pierre Anthon zu beweisen, dass es Bedeutung im Leben gibt, sammeln die Schüler auf einem Berg aus Bedeutung alles, was ihnen besonders am Herzen liegt. Jeder muss etwas opfern. Zunächst sind es kleinere Dinge wie Sandalen oder Comichefte, die auf dem Berg landen, doch schnell werden die Forderungen der Schüler immer gewaltiger. Derjenige, der opferte, darf vom nächsten das Opfer bestimmen. In ihrer Wut über den eigenen schmerzlichen Verlust eines geliebten Gegenstandes kennen die Forderungen bald keine Grenzen mehr. Die Bedeutung des Geopferten soll immer größer werden. Da ist zunächst noch das fast neue Rennrad, dann aber muss ein gläubiger Junge die Jesusfigur aus der Kirche stehlen und auf den Berg legen, ein junges Mädchen ihren geliebten Hamster opfern, ein anderer einen Hund, der vorher umgebracht wird, und selbst dann kennt der Zorn der Schüler keinen Halt. Und gipfelt in einer Katastrophe.
›Nichts. Was im Leben wichtig ist‹ erspart dem Leser nicht das Entsetzen, befreit ihn nicht in ein glückliches Happy End. Was hier geschieht ist das Ergebnis von Gruppenzwang und entfesselter Wut. Aber Wut worauf? Darauf, dass unser Leben bedeutungslos ist?
Wer Janne Tellers Roman liest, begreift schnell, dass es Werte gibt, mit denen man nicht spaßen sollte. Selten liest man einen Jugendroman, der den Leser mit so existenziellen Fragen konfrontiert. Wie weit bin ich bereit, für eine Idee zu gehen? Wie kann eine Gruppe das Verhalten eines einzelnen beeinflussen? Darf ich mich über die religiösen Gefühle anderer lustig machen? Darf ich meine körperliche Unversehrtheit einem höheren Ziel opfern? Wie gehe ich mit den Werten anderer um?
Entstanden ist so ein Buch, das man atemlos wie einen Krimi liest und das einen verstört und nachdenklich zurücklässt. Eine Parabel im besten aufklärerischen Sinne.