Zu Besuch bei … Christina Berndt

Christina Berndt ist Wissenschaftsjournalistin und Bestsellerautorin. Welchen Stellenwert hat das Schreiben in ihrem Leben? Und wieso darf das Kännchen Ostfriesentee auf dem Tisch nie fehlen? Die Antworten gibt es hier: Herzlich willkommen in der Schreibwerkstatt von Christina Berndt!

Wie sieht Ihr Schreiballtag aus?
Ich arbeite an vier Tagen in der Woche in der Süddeutschen Zeitung. Dort gehört das Verfassen von Artikeln ohnehin zu meinem Redaktionsalltag. Meine Bücher schreibe ich an meinem SZ-freien Mittwoch, an manchen Wochenendtagen, oft abends – und zum Teil nehme ich dafür auch mehrere Wochen oder Monate frei. Dann scheibe ich in der Regel tagsüber, wenn sonst niemand von meiner Familie da ist.

Haben Sie dabei feste Rituale?
Wenn die Kinder aus dem Haus sind, lese ich morgens immer zuerst Zeitung und esse ein Müsli. Dann mache ich mir eine Kanne Ostfriesentee und stelle sie auf einem Stövchen zusammen mit einem Kännchen Sahne und Kluntjes neben meinen Computer. Meist erledige ich als erstes ein paar Mails – aber dann geht es los.

Arbeiten Sie mit einem Notizheft, einer Pinnwand oder Ähnlichem?
Nein, ich arbeite fast ausschließlich mit Computerdateien. Ich lege verschiedene Dateien für die Kapitel an, die ich geplant habe, und sammle darin den Stoff. In der Regel schreibe ich ein Buch von vorne nach hinten durch. Aber wenn mir bei der Recherche interessante Informationen begegnen, die ich später gebrauchen kann, speichere ich diese in der entsprechenden Datei ab. Neue Kapitelversionen erhalten immer ein frisches Datum. So kommt eine stattliche Anzahl an Dateien zusammen, aber dafür geht nichts verloren. Am Ende bleibt allerdings meist noch eine Datei »Reste« übrig – mit Dingen, die bisher nicht im Buch gelandet sind. Manche arbeite ich dann noch in die bereits geschriebenen Kapitel ein, andere bleiben einfach ungenutzt.

Was wollten Sie als Kind werden?
Ich wusste etwa ab der 10. Klasse, dass ich Journalistin werden wollte. Das entsprach mir, fand ich: Immer wieder neue Themen und neue Menschen kennenlernen, viel rumkommen, Kontakte knüpfen, Zusammenhänge entdecken und erklären – und das Ganze auch noch schreibend. Ursprünglich wollte ich Politikwissenschaften studieren und über Politik schreiben, aber dann hat mich nach meinem Abitur der damalige Chefredakteur der Emder Zeitung, Herbert Kolbe, auf die Idee gebracht, Wissenschaftsjournalistin zu werden. Ich würde mich doch so für naturwissenschaftliche Themen interessieren, sagte er, da bestehe im Journalismus ein großer Bedarf. Das war ein super Tipp.

Wie sind Sie zum Schreiben gekommen? 
Geschrieben habe ich schon immer gerne, als Schülerin hatte ich mehr als 20 Brieffreunde in aller Welt – von Schweden bis Uganda und von Spanien bis Hongkong. Als Journalistin arbeite ich nun schon seit gut 20 Jahren. Meine ersten journalistischen Texte habe ich parallel zu meiner Doktorarbeit am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg verfasst, für die dort ansässige Rhein-Neckar-Zeitung. Bücher schreibe ich erst seit 2012. Damals hat mich der Literaturagent Michael Gaeb angeschrieben, nachdem er einen Text über Resilienz von mir in der Süddeutschen Zeitung gelesen hatte. Er animierte mich, ein Buch zu schreiben, das dann ja ein unglaublicher Erfolg wurde. 

Welcher Autor oder welches Buch hat Sie nachhaltig geprägt? 
In mir steckt vor allem Wissensdurst, ich bin wirklich nicht umsonst Wissenschaftsjournalistin geworden, mich faszinieren Fakten, ich will lernen. Daher bin ich eine große Sachbuchleserin, Belletristik interessiert mich immer erst an zweiter Stelle. 

Welches Buch hat Sie jüngst begeistert? 
›Tausend Zeilen Lüge‹ – das Buch, in dem sich Juan Moreno, der Aufdecker des großen Fälschungsskandals beim Spiegel und anderen Medien, mit dem »System Relotius« auseinandersetzt. Zumindest für jemanden, der sich wie ich für Journalismus interessiert, ist das ein echter Pageturner, ich konnte das Buch gar nicht aus der Hand legen. Selbst wenn man meint, schon alles über diesen größten Fälschungsskandal der deutschen Mediengeschichte gelesen zu haben, ist man beim Lesen dieses Buches noch einmal erschüttert, wie hartnäckig sich der Spiegel gegen die Enthüllungen Morenos gewehrt hat und wie klug dieser die zugrundeliegenden Mechanismen analysiert. Dass er bei seiner Schlusspointe offenbar selbst nicht gut recherchiert hat, ist schade, ändert aber an der Klasse des Buches wenig. 

Wen oder was wollen Sie unbedingt noch lesen? 
›Leonardo da Vinci und die Frauen – eine Künstlerbiographie‹ von meiner tollen Kollegin Kia Vahland. Da Vinci war seiner Zeit ja in vielem voraus, nicht nur wissenschaftlich, technisch, künstlerisch, sondern auch in seinen Ansichten: Er war homosexuell, trug pinkfarbene Umhänge und war überzeugter Vegetarier. Noch dazu brach er mit Konventionen, was den Umgang mit Frauen betraf. Er malte sie als selbstbewusste, zugewandte Wesen, das war revolutionär. 

Was lesen Sie zurzeit? 
Die Autobiographie von Otto Waalkes, der ja wie ich in Emden geboren ist. Sie lehrt so viel über das Wesen von Komik und das Leben als Komiker – und ist dabei erstaunlich ernst. 

Wo lesen Sie am liebsten? 
Am allerliebsten lese ich im Zug. Zugfahren ist geschenkte Zeit. Im Zug darf man mal so richtig nichts tun und ist trotzdem in Bewegung – für mich als unruhiger Geist, der gerne aktiv und in Bewegung ist, eine herrliche Kombination und DIE Gelegenheit, richtig lange am Stück zu lesen. 

Wann legen Sie jedes Buch beiseite? 
Für ein gutes Gespräch mit einem Menschen.