Zu Besuch bei ... Andrea Roedig

Warum Tagebuchschreiben eine gute Schreibschule war, wie ihr Schreiballtag generell aussieht und wieso Möhren fester Bestandteil ihres Schreibprozesses sind, erklärt uns die Autorin von ›Man kann Müttern nicht trauen‹. Willkommen in der Schreibwerkstatt von Andrea Roedig!

Wie sieht Ihr Schreiballtag aus?
Meine beste Schreibzeit ist morgens, und meist beginne ich mit »Morgenseiten«, schreibe also per Hand in ein Heft, und zwar ungeordnet alles, was mir einfällt. Dann wechsele ich irgendwann zum Computer. Wenn es gut läuft, habe ich den Vormittag zum Schreiben und verlasse die Wohnung nicht, bevor ich nicht ein gewisses Schreibpensum hinter mir habe. Nachmittags arbeite ich meist in der Bibliothek oder in meinem Co-Working Space. 

Haben Sie dabei feste Rituale?
Damit es mit dem Schreiben gut geht, habe ich feste Abläufe, vor allem morgens: Schwarzer Tee gehört zum Schreibprozess genauso wie – Möhren. Manchmal, wenn ich kurz davor bin, eine Idee, einen Gedanken ausdrücken zu können, springe vom Schreibtisch auf, laufe herum, gehe zum Kühlschrank und esse eine oder zwei Möhren. Das „Draufbeißen“ löst die Spannung, und dann geht es weiter mit dem Schreiben. 

Arbeiten Sie mit einem Notizheft, einer Pinnwand oder Ähnlichem?
Ich arbeite gerne mit kleineren und größeren Mindmaps. Manchmal passen sie in ein A3-Heft, manchmal hole ich mir aus dem Postamt große Bögen Packpapier, die lege ich auf dem Boden aus und beschrifte sie mit Ideen, Schlagworten oder klebe Notizzettel darauf. Was wollten Sie als Kind werden? Ärztin, Priesterin, Journalistin und Schriftstellerin. 

Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?
Ich habe sehr früh begonnen, Tagebuch zu führen, aber auch Gedichte und Kurzgeschichten zu schreiben. Das Wichtigste und Kontinuierlichste aber blieb das Tagebuch: ihm konnte ich alles anvertrauen; Schreiben war für mich immer ein Denk- und Fühlwerkzeug. Als Jugendliche habe ich exzessiv geschrieben, ich besitze abertausende Seiten an Tagebucheinträgen. Im Nachhinein denke ich, dass das die beste Schreibschule war - eine lebenslange Übung. 

Welche*r Autor*in/welches Buch hat Sie nachhaltig geprägt?
Das sind viele verschiedene. Für mein Buch wichtig waren vor allem Peter Handkes ›Wunschloses Unglück‹, Louis Begleys ›Lügen in den Zeiten des Krieges‹ und Jeanette Walls ›The Glass Castle‹. Und an ein Buch denke ich immer wieder zurück: ›Never let me go‹ von Kazuo Ishiguro. Das ist ein perfekter Text. 

Welche*r Autor*innen sollte/n unbedingt noch entdeckt werden?
Er ist eigentlich schon entdeckt, aber man sollte immer wieder an ihn erinnern: Norbert Gstrein. Er hat einen sehr eigenen Ton des Erzählens, melancholisch, ungekünstelt, wenig aufgeregt und doch sehr verstörend. Er ist ein Meister seines Fachs. 

Welches Buch hat Sie jüngst begeistert?
Christian Krachts ›Eurotrash‹ – auch ein »Mutterbuch«, aber ganz anders als meines. Wen oder was wollen Sie unbedingt noch lesen? Meine lang aufgeschobenen Projekte sind eher schwere philosophische Kost: Spinoza und Plotin möchte und muss ich unbedingt noch lesen in diesem Leben. 

Was lesen Sie zurzeit?
Ich bin eher zufällig wieder auf Erich Maria Remarque gestoßen; das ist keine »hohe Literatur«, aber sie funktioniert. So lese ich gerade ›Die Nacht von Lissabon‹; gleichzeitig aber auch ›Hein‹ von Esther Kinsky, ›Der Pilz am Ende der Welt‹ von Anna Lowenhaupt-Tsing und die Graphic Novel ›Chartwell Manor‹ von Glenn Head – die hat mich nicht losgelassen. 

Wo lesen Sie am liebsten?
In der Bibliothek, auf der Parkbank, im Bett. 

Wofür legen Sie jedes Buch beiseite?
Fürs Draußensein, fürs Radfahren und für den Wald.