Zu Besuch bei… Marlene Averbeck

Heute erzählt uns die Autorin Marlene Averbeck von ihre Recherche für die Trilogie ›Das Lichtenstein‹ und wie sie bei den ganzen historischen Fakten und Quellen den Überblick behält. Außerdem erfahren wir, wie sie zum Schreiben gekommen ist und was sie an historischen Romanen besonders reizt. Willkommen in Marlene Averbecks Schreibwerkstatt!

Wie sieht Ihr Schreiballtag aus?
Einen klassischen Schreiballtag gibt es nicht – jeder Tag ist anders. Weitere berufliche Projekte bringen immer wieder Termine mit sich, und so kann es sein, dass ich auch mal tagelang nicht zum Schreiben komme. Dann gibt es Phasen, in denen ich regelmäßig in kleineren Zeitfenstern am Stoff dran bin, und natürlich gibt es die intensiven Schreibphasen, in denen andere Projekte zurückstehen. Im Idealfall setze ich mich an den Schreibtisch, sobald das Kind auf dem Weg zur Schule ist, lese erst einmal die tagesaktuellen Nachrichten, genieße einen Kaffee und beginne dann mein Tagewerk.

Haben Sie dabei feste Rituale?
Nein, die habe ich nicht. Ich habe nicht einmal einen festen Arbeitsplatz – ich bin flexibel . Damit meine ich, mal arbeite ich am Schreibtisch oder sehr gern – aber nur wenn alle außer Haus sind – am Wohnzimmertisch. Im Winter liebe ich unseren Küchentisch wegen seiner Nähe zur Kaffeemaschine. Ich kann auch gut in Cafés oder im Garten schreiben, alles eine Frage der Tagesform. Dieses Wechseln wurde durch die Pandemie verstärkt, denn mit einem Mal wurden vier Arbeitsplätze benötigt und abhängig von den Videokonferenzen wurden die Zimmer besetzt, damit man sich nicht gegenseitig störte.

Arbeiten Sie mit einem Notizheft, einer Pinnwand oder Ähnlichem?
Eigentlich habe ich alles ausprobiert: Schreibtagebuch, Notizhefte, Kopien, Karteikarten, Pinnwände – aber ich habe dann festgestellt, dass ich mir damit doppelte Arbeit mache, denn viele der zusammengetragenen Ergebnisse brauche ich ja meist – zumindest in Auszügen – auch noch im Laptop. Deshalb sammele ich heutzutage überwiegend alles in Dateien – da gibt es seitenlange Zeitübersichten, Bildersammlungen usw. So kann ich aber besser hin- und herwechseln, und ich finde auch die Quellenlage überschaubarer, bspw. durch Link-Verweise.

Was wollten Sie als Kind werden?
Ganz klar Schriftstellerin. Ich habe schon als Kind gern Geschichten erzählt, beispielsweise abends beim Einschlafen meiner Schwester. In Teeniezeiten habe ich mich mit einer Freundin getroffen und Lovestorys erfunden. Wir haben zusammengesessen, und ich habe stundenlang Phantasiewelten erschaffen – die ich mir zuvor meist zurechtgelegt hatte. Aber mich interessierte auch die Archäologie, das Abtauchen in vergangene Zeiten – das ist, denke ich, in meiner Leidenschaft fürs Recherchieren immer noch spürbar.

Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?
Im Studium der Germanistik habe ich mich wissenschaftlich, also sehr theoretisch mit der Frage befasst, in welchem Kontext Literatur entstand bzw. entsteht. Im Anschluss ans Studium habe ich über Jahre beim Film gearbeitet. Im Bereich der Stoffentwicklung habe ich angefangen, das dramaturgische Handwerkszeug anzuwenden, ganz praktisch – denn hier wurde auf Sendeplätze und Zielpublikum bezogen gearbeitet. Das war eine gute Schule, die ich abgerundet habe durch eine berufsbegleitende Drehbuchausbildung.

Welche/r Autor*in/welches Buch hat Sie nachhaltig geprägt?
Literatur ist so vielfältig und in dem Punkt wie Musik: Sie passt zu Stimmungen, Interessen, Lebenssituationen, Bedürfnissen, und so haben viele Bücher oder auch Lieder kleinere und größere Spuren hinterlassen. Sie haben ihre Zeit, ihren Moment und ich freue mich eher darauf, beständig neue Themen und Geschichten zu entdecken. Wenn ich Bücher mehrfach wieder zur Hand nehme, dann eher, um zu schauen, wie hat die Autorin oder der Autor handwerklich die eine oder Frage gelöst, beispielsweise die Einführung des Antagonisten, den ersten oder letzten Satz oder die Entwicklung der Hauptfigur. Kurzum: Ich kann mich da nicht festlegen.

Welches Buch hat Sie jüngst begeistert?
Momentan sitze ich am dritten Band der ›Lichtenstein‹-Trilogie. Das heißt, ich lese vornehmlich Sekundärliteratur. Aber letzthin habe ich antiquarisch „Das Jugend-Album“ erworben, es ist von 1898. Auch wenn es vor der Zeit entstanden ist, in der ich gerade unterwegs bin, finde ich es aufschlussreich. Schon der Untertitel spricht für sich: ›Unterhaltung für Geist und Gemüt der Mädchen und Knaben im Alter von 10 bis 15 Jahren.‹ Ich liebe solche Zeitreisen, in diesem Fall sogar mit »zehn feinen Farbendruckbildern« und »5 Blumentafeln«.

Wen oder was wollen Sie unbedingt noch lesen?
›Stay away from Gretchen‹, wenn ich mal eine Verlagskollegin nennen darf. Ein tolles Thema – ich mag es, wenn Romane in der Gegenwart verankert sind und trotzdem reale historische Begebenheiten aufgreifen und darüber einen Blick in die Geschichte werfen. Gleichermaßen interessiert mich aber auch ›Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit‹ von Mai Thi Nguyen-Kim. Ich schaue sehr gern ihre YouTube-Beiträge und bin gespannt auf das Buch …

Was lesen Sie zurzeit?
Viel Literatur über Berlin zur Zeit des Nationalsozialismus, vor allem über die Arisierungen – das ist belastend, aber nötig für den aktuellen Roman.

Wo lesen Sie am liebsten?
Im Urlaub am Strand, auf der Couch, im Garten, in der S-Bahn, im Wartezimmer – da gibt es wieder keinen festgelegten Ort. Irgendwie habe ich meistens ein Buch in Griffweite.

Wofür legen Sie jedes Buch beiseite?
Erstens für Familienzeit. Aktuell ist bei Sohnemann Tischtennis am Esstisch angesagt. Aber auch Ausflüge, beispielsweise ins Berliner Umland, in die nächste Eisdiele oder über einen der Berliner Flohmärkte stehen hoch im Kurs. Das jeweilige Buch kann ich am Abend wieder zur Hand nehmen. Und zweitens für Treffen mit Freund*innen, gern bei einem guten Essen – am liebsten noch an einem lauen Sommerabend draußen.