Zu Besuch bei ... Bettina Seidl

Wieso sie ihre Romane immer zuerst handschriftlich zu Papier bringt und wie man es als Mutter, Teilzeitarbeitende, ehrenamtlich Tätige und Frau mit Garten nebenher noch schafft, so wunderbare Bücher zu schreiben? Bettina Seidl, Autorin der ›Die Dorflehrerin‹-Reihe, hat es uns im Interview verraten.

Wie sieht Ihr Schreiballtag aus?
Mein Schreiballtag wird von meinem normalen Alltag bestimmt. Das Schreiben ist Teil meines Lebens und muss sich, wie alles andere, organisch in den Tag einfügen. Wenn ich Zeit habe, schreibe ich. Als Mutter, Teilzeitarbeitende, ehrenamtlich Tätige und Frau mit Garten gewinnt der Alltag schnell mal Oberwasser. Darum habe ich es mir angewöhnt, in den Abendstunden, wenn der ganze Rest erledigt ist, zu schreiben.

Ich schreibe die erste Fassung einer Geschichte immer zuerst mit der Hand. Ich habe nie gelernt, mit zehn Fingern auf einer Tastatur zu schreiben und so bin ich mit der Hand viel schneller, als am Computer. Meine Ideen und Gedanken kommen oft so schnell, dass ich sie handschriftlich am besten festhalten kann.

Eine gute Freundin, ebenfalls Autorin, hat einmal die Devise von „drei Seiten pro Tag“ ausgegeben. Daran halte ich mich. Das ist ein gutes und praktikables Maß für mich.

Haben Sie dabei feste Rituale?
Oh, ich hätte so gerne Schreibrituale. Alleine, mir fehlt die Zeit dazu. Eine Tasse Tee, abends immer eine brennende Kerze, das muss an Ritualen reichen.

Arbeiten Sie mit einem Notizheft, einer Pinnwand o.Ä.?
Ich bewundere Autorinnen und Autoren, die Pinnwände, Flipcharts, Computerprogramme mit Zeitstrahl, Szeneneinteilung und allem drum und dran benutzen. Ich bin damit heillos überfordert. Ich habe einen Berg Notizzetteln und wurstel mich so durch meine Geschichten.

Was wollten Sie als Kind werden?
Wie Pippi Langstrumpf wollte ich immer Sachensucherin werden. Auf eine gewisse Art und Weise bin ich das auch geworden. Nur, dass ich heute Geschichten suche. Das stimmt ehrlich gesagt nicht ganz, denn ich habe festgestellt, dass die Geschichten mich finden. Plötzlich steht eine Romanidee vor mir und beansprucht vehement, dass ich sie bei mir aufnehme.

Und Sachensuchen betreibe ich nebenbei trotzdem. Seien es Tannenzapfen oder Kastanien, besonders geformte Steine oder Schneckenhäuser, irgendetwas Schönes finde ich bei jedem Spaziergang.

Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?
Meine Eltern hatten eine Reiseschreibmaschine. Sie war kompakt und handlich, für Kinderhände wunderbar geeignet. Auf der habe ich die ersten kleinen Geschichten mühsam mit dem Adler-Such-System in die Tasten gehauen. Etwas anderes mache ich eigentlich bis heute nicht.

Welcher Autor/welches Buch hat Sie nachhaltig geprägt?
Das ist mir jetzt furchtbar peinlich und das sollte man wahrscheinlich nicht öffentlich zugeben, aber ich liebe die Bücher von Rosamunde Pilcher. „September“ ist mein absolutes Lieblingsbuch, und ihre Kurzgeschichten schätze ich sehr. Aber bitte, ihre Romane haben nichts, absolut nichts mit den unsäglichen Verfilmungen zu tun.

Pilcher schafft es mit wenigen Sätzen, eine stimmige Atmosphäre zu schaffen, und wenn sie von einem mit Sand geschrubbten Tisch schreibt und den Hortensien, die im Abendlicht leuchten, fühlt sich die Welt einfach um ein kleines Stück besser an.

Welcher Autor sollte unbedingt noch entdeckt werden?
Ich kann jedem nur die Bücher von Miss Read empfehlen. Die Autorin ist leider in Vergessenheit geraten. Ich habe ihre Dorfgeschichten bei einem Studienaufenthalt in England kennengelernt und seitdem begleiten sie mich. Ihre Beschreibungen des englischen Dorflebens sind herrlich. Dazu sind ihre Bücher voller warmherzigem Humor. Ich hoffe, der dtv-Verlag bringt sie wieder einmal heraus.

Welches Buch hat Sie jüngst begeistert?
Die Reihe um die Familie Cazalet von Elizabeth Jane Howard habe ich regelrecht verschlungen. Das sind Bücher zum Abtauchen, zum Entspannen und sie wollen mit einer feinen Tasse Darjeeling genossen werden.

Wen oder was wollen Sie unbedingt noch lesen?
Seit langer Zeit liegt von Oskar Maria Graf „Das Leben meiner Mutter“ auf meinem Schreibtisch. Ich traue mich nicht daran, es zu lesen, denn das ist ein Buch, von dem ich glaube, dass ich genau so ein Buch gerne schreiben würde. Das klingt jetzt etwas verworren. Es ist die kraftvolle Sprache, die Geschichte, die tief in Bayern verwurzelt ist – genau so etwas würde ich schreiben können wollen. Und das schüchtert mich ein. Aber ich merke, dass ich es bald lesen werde. Und dabei fällt mir ein, dass ich gerne über das Leben meiner Mutter und ihren Garten, den sie mit ihren über 80 Jahren immer noch pflegt, schreiben würde. Bei mir würde es „Der Garten meiner Mutter“ heißen.

Was lesen Sie zurzeit?
Ehrlich gesagt lese ich viele, viele Bücher gleichzeitig. Zu Recherchezwecken für ein neues Buchprojekt beschäftige ich mich gerade intensiv mit „ausgesprochen bayerisch. Lebensart, Handwerk und Bräuche in Oberbayern in den Fünfzigerjahren“ aus dem Allitera Verlag. Das versetzt mich in die richtige Stimmung für meinen neuen Roman, der in dieser Zeit angesiedelt ist.

Wo lesen Sie am liebsten?
Ich lese überall. Eigentlich lese ich ständig. Lesen ist doch wie Atmen, das geht automatisch, immer und überall.

Wofür legen Sie jedes Buch beiseite?
Für meinen Garten. Nur müsste ich viel öfter die Bücher beiseite legen, denn er verwildert zusehends.