Olga unterwegs: Im Interview mit Ursula Kirchenmayer

Betritt man unser Verlagsgebäude ist Olga Tsitiridous Gesicht das Erste, das einem vom Empfang entgegenstrahlt. Für uns lässt Olga aber immer wieder ihren Schreibtisch zurück und macht sich auf die Suche nach neuen, spannenden Stories über alles, was ein Bücherherz bewegt. Diesmal spricht sie mit Ursula Kirchenmayer – über die schönen aber auch schwierigen Momente während des Schreibens, über besondere Schreiborte und über ihr Romandebut ›Der Boden unter unseren Füßen‹.

Olga Tsitiridou (dtv): Schreiben – vorwärtsdrängen, zurückgeworfen werden, Verzweiflung, Rausch, Glück … findest Du Dich in einem dieser Gefühle wieder, wenn Du schreibst?
Ursula Kirchenmayer: Oh, das kommt mir fast alles bekannt vor. Oft ist es so: Plötzlich sehe ich eine Szene vor mir und dann tippe ich wie im Rausch, in solchen Momenten bin ich komplett bei mir. Danach dauert es Wochen oder Monate, bis die Erkenntnis einsetzt, dass alles noch viel zu roh, viel zu unfertig ist, dass der Kontext, das große Ganze noch überhaupt nicht stimmig sind. Dann fängt die richtige Arbeit an, die ich aber auch sehr mag. Da ist ja jetzt Material, mit dem ich arbeiten kann. Zermürbend ist das Schreiben dann, wenn der Cursor blinkt und ich nicht weiterkomme. Manchmal kommen mir die richtigen Ideen wenige Minuten bevor ich die Kinder aus dem Kindergarten holen muss. Oder mitten in der Nacht. Dann setze ich mich hin und tippe die Sätze oder auch nur Stichpunkte in mein Handy, für den nächsten Tag.

Wie bist Du zum Schreiben gekommen?
Eigentlich über das Zeichnen. Ich habe schon in der Grundschule viel gezeichnet. Das waren immer viele kleine Bilder auf einem Blatt, die zusammen eine Geschichte ergeben haben, wie Comics, nur ohne Sprechblasen. Ich habe aber auch schon immer alles gelesen, was ich in die Hände gekriegt habe. Im Gymnasium hatte ich dann eine Lehrerin, der mein Schreibstil aufgefallen ist. Damals habe ich angefangen, meine ersten Geschichten zu schreiben, auch Tagebuch zu führen. Nach dem Abitur habe ich dann gedacht, dass ich was Vernünftiges studieren muss, dass man Schriftstellerin ja nicht einfach so werden kann. Ich war fast Mitte zwanzig, als ich zum Auslandsstudium in Peru war und gesehen habe, dass Literarisches Schreiben sehr wohl auch an der Uni gelehrt wird und dass es das ist, was ich will. So bin ich über die spanische Sprache wieder zurück zum Schreiben gekommen.

Vor Kurzem ist Dein erster Roman ›Der Boden unter unseren Füßen‹ erschienen, ein Buch über die Verletzlichkeit junger Eltern in der Großstadt. Wie kamst Du auf dieses Thema und kannst Du dich an den Moment erinnern, als die Idee zu diesem Buch geboren wurde?
Die Geschichte hat erst einmal mit mir selbst angefangen. Damit, dass ich mein erstes Kind bekommen habe und wir nach langer Suche endlich eine Wohnung gefunden hatten. Doch die befand sich, wie sich bald herausstellte, direkt über der einer psychisch kranken Frau. Wir hatten ein rastloses Jahr, in dessen Verlauf wir uns kaum dort aufhalten konnten, in einer Zeit, in der ich mir als junge Mutter einfach nur Sicherheit und Geborgenheit für mein Kind gewünscht hätte. Ich bin kein besonders ordentlicher Mensch, aber plötzlich spielten Sauberkeit, Ordnung, geregelte Verhältnisse eine extrem große Rolle für mich. Ich bin oft durch die Straßen gelaufen, und wenn irgendwo das Licht gebrannt hat, habe ich von draußen sehnsüchtig diese Menschen in ihren scheinbar sicheren Wohnungen beobachtet, wie sie in ihren Küchen Gemüse geschnitten oder ein Tablett Tee ins Wohnzimmer getragen haben. Die ersten Szenen habe ich geschrieben, als wir dann irgendwann unser letztes Geld zusammengekratzt haben und auf die Kanaren geflogen sind. Endlich konnten wir durchatmen. Und dann habe ich auf einmal dieses Paar vor mir gesehen, mit dem Kind, zum ersten Mal mit etwas Distanz.

Wenn Du schreibst … brauchst Du den totalen Rückzug? Oder kannst Du überall schreiben, im Zug, im Café, in der Trambahn? Brauchst Du ein Stimmengewirr im Hintergrund oder Stille?
Am allerliebsten schreibe ich bei mir Zu Hause am Küchentisch. Ich habe auch schon im Café geschrieben - manchmal, wenn ich festhänge und nicht weiterkomme, kann es hilfreich sein, den Kontext zu wechseln. Die Musik und das Stimmengewirr stören mich dann nicht, obwohl ich zu Hause die absolute Stille brauche. Wenn ich richtig drin bin, klappt es aber auch, wenn die Kinder um mich herumtoben. Im Zug schreibe ich auch gelegentlich, aber ungern. Am liebsten würde ich im Zug nur aus dem Fenster schauen und vor mich hinträumen. Seit ich die Kinder habe, habe ich aber fast keine Gelegenheit mehr zu langen, einsamen Zugfahrten.

Du hast Literarisches Schreiben in Leipzig studiert und zahlreiche Literaturwettbewerbe gewonnen. Inwieweit war das wichtig für Dich und kann man Schreiben, ein Stück weit zumindest, lernen? Oder ist es doch in erster Linie eine Begabung?
Das Studium in Leipzig hat mir sicher Türen geöffnet und auch den Blick geschärft. Es gibt ein nicht ganz einfaches Auswahlverfahren, eine gewisse Begabung braucht man dafür schon. Aber alles andere ist Übung und harte Arbeit. Nach außen hin sieht das vielleicht toll aus, mit dem Studium dort und den Literaturwettbewerben, aber ich habe auch wirklich viele Absagen bekommen. Und trotzdem immer weitergemacht. In Leipzig dreht sich ein paar Jahre lang alles um Texte, um die eigenen, um die der anderen. Es gibt ständig Anreize, neue Texte zu schreiben, man ist ständig im Austausch über das, was entsteht. Das ist ein großes Glück. Vielleicht weiß man am Ende genauer, wie man schreiben will. Vielleicht muss man sich als Autorin aber auch komplett neu zusammensetzen. Man öffnet sich, macht sich verletzlich und angreifbar, aber das wappnet einen sicher auch ein Stück weit für alles Weitere, wenn man mit den eigenen Texten tatsächlich den Weg in die Öffentlichkeit geht.

Arbeitest Du schon an Deinem nächsten Buch, vielleicht mit einer ganz anderen Thematik?
Seit einiger Zeit arbeite ich wieder an einem Projekt, das mich schon sehr lange begleitet. Der Text spielt halb in Rumänien, wo ich geboren bin, halb hier, und Mutterschaft ist wieder ein großes Thema. Ich bin gespannt, wie es damit weitergeht - gerade fließt es gut und ich habe das Gefühl, eine Sprache dafür gefunden zu haben.

Das Interview führte Olga Tsitiridou.