Zu Besuch bei ... Kerstin Holzer
»Ein aufgeräumtes Äußeres schärft mein Denken.« Wieso Schreiben in Jogginghosen für Kerstin Holzer nicht funktioniert und sie nur möglichst unbeobachtet Notizen auf ihr Handy spricht – die Autorin des Bestsellers ›Monascella‹ verrät es uns im Interview.
Wie sieht Ihr Schreiballtag aus?
Ich habe gute und schlechte Schreibtage, beides ist bei mir Alltag. An gelingenden Tagen frühstücke ich und gehe mit dem Hund im Englischen Garten spazieren. Wenn mein Mann mir das abnimmt, setze ich mich gleich an den Schreibtisch, um drei Stunden zu schreiben. Mittags brauche ich ein vernünftiges Essen und das, was man ein Power-Nap nennt: also ein 15-Minuten-Schläfchen. Nachmittags gehe ich noch mal mit dem Hund raus, dann arbeite ich bis abends. An schlechten Tagen sieht alles von außen ganz genauso aus, mit dem Unterschied, dass ich bis zum späten Nachmittag keinen guten Satz zustande gebracht habe. Erst, nachdem ich mich stundenlang gequält habe, läuft es. Die schlechten Tage können dann leider bis 22 Uhr dauern, denn mein Tagesziel sind mindestens zwei, besser drei Manuskriptseiten, die wirklich sitzen. Ich schreibe ausschließlich am Computer.
Haben Sie dabei feste Rituale?
Zu meinen Ritualen gehört, morgens als Erstes das ausgedruckte Ergebnis des Vortags durchzulesen, um inhaltlich, sprachlich und atmosphärisch in die Spur zu kommen. Dabei trinke ich einen Espresso Macchiato. Ich neige zur Prokrastination, daher stelle ich das Mail-System aus und verbiete mir den Blick auf Instagram. Zum Schreiben brauche ich Ruhe, ich arbeite also nie im Café, sondern in der Stille meines Büros, natürlich ohne Musik. Ich bin während eines längeren Projekt auch eher ungesellig, da gedanklich bei meiner Geschichte. Blumen auf dem Schreibtisch und Ingwertee finde ich hilfreich. Schreiben in der Jogginghose funktioniert für mich nicht; ich glaube, ein aufgeräumtes Äußeres schärft mein Denken. Wenn es (Stichwort: schlechte Schreibtage) zunächst nicht läuft, gehe ich raus, zum Beispiel auf den Markt, oder ich koche Marmelade. Diese rituellen Ablenkungsmanöver lösen bei mir Blockaden.
Arbeiten Sie mit einem Notizheft, einer Pinnwand o.Ä.?
Meine Ideen und Gedanken sammle ich in einem Notizbuch, dabei schreibe ich mit einem Füller, der mich seit 25 Jahren begleitet und an dem ich hänge. Wenn mir irgendwo draußen die perfekte Formulierung einfällt, muss ich sie sofort als Notiz auf das Handy sprechen, sonst ist sie weg. Dabei achte ich darauf, nicht beobachtet zu werden, weil ich mich sonst wie der Wichtigtuer aus Woody Allens Film ›Verbrechen und andere Kleinigkeiten‹ fühle, der seinem Aufnahmegerät permanent pseudo-Geniales diktiert.
Was wollten Sie als Kind werden?
Journalistin. Und das bin ich auch geworden.
Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?
Als Kind habe ich große Blätter aus Malblöcken einmal gefaltet und hatte so meine eigene Zeitung mit vier Seiten. Die habe ich handschriftlich mit Mini-Feuilletons und Nachrichten aus der Nachbarschaft befüllt und mich als Blattmacherin geübt. Nach dem Studium habe ich bei der ›Frankfurter Allgemeinen Zeitung‹ ein Volontariat absolviert und dort den nachrichtlichen Tageszeitungsjournalismus gelernt. Eigentlich aber wollte ich Menschen porträtieren und ihre Geschichten erzählen. Der Weg zum Magazinjournalismus und zu biografischen Büchern hat dann etwas gedauert.
Welche/r Autor*in/welches Buch hat Sie nachhaltig geprägt?
Schwer zu beantworten, denn ich habe als Heranwachsende wirklich alles gelesen, was mir in die Finger kam, und alles wirkte nach: Jack London, Gustav Schwabs ›Sagen des Klassischen Altertums‹, sogar das Buch ›Highlife‹ der längst vergessenen Society-Reporterin Margaret Dünser aus dem elterlichen Bücherschrank, in dem sie ihre Begegnungen mit mir damals völlig unbekannten Stars wie Truman Capote und Stummfilmstar Gloria Swanson schildert. Meine Leidenschaft für Schilderungen von Wildnis, Märchenhaftes und, ja, auch für kultivierten Klatsch ist geblieben.
Welche/r Autor*in sollte unbedingt noch entdeckt werden?
Es sollten viele Menschen ›Jahre mit Martha‹ von Martin Kordic lesen. Es ist ein Roman über Integration in Deutschland, über Er- und Entmutigung, über Macht und Ohnmacht und Verweigerung, und er macht Kordic zu einem gesellschaftlich relevanten Schriftsteller.
Welches Buch hat Sie jüngst begeistert?
Da möchte ich drei Bücher nennen, die, merke ich, die Themen kultivierten Klatsch, Märchenhaftes und Wildnis abdecken: einmal Patricia Highsmiths ›Tage- und Notizbüchern‹ - hier begreift man, was Queer-Sein, Anders-Sein, Künstler-Sein wirklich bedeutet. Begeistert hat mich auch, auf ganz andere, unterhaltsame Weise, die Hamburger Schriftstellerin Simone Buchholz mit ihrem verrückten Roman ›Unsterblich sind nur die anderen‹ – ich bewundere es, wenn Autoren einen unverwechselbaren Sound finden. Fasziniert hat mich auch der norwegische Roman ›Die Einsamkeit der Seevögel‹ von Gohril Gabrielsen über eine Wissenschaftlerin in der winterlichen Einsamkeit der Finnmark, der man beim Verarbeiten ihrer gescheiterten Ehe zusieht, und beim Verrücktwerden.
Wen oder was wollen Sie unbedingt noch lesen?
›Krieg und Frieden‹ von Leo Tolstoi. Sein Roman ›Anna Karenina‹ ist für mich ein Lebensbuch, in dem ich immer wieder Neues entdecke.
Was lesen Sie zurzeit?
Ich habe zuletzt einiges angelesen und abgebrochen, recherchiere außerdem für mein nächstes Buch und hänge als Leserin gerade ein bisschen in der Luft, leider.
Wo lesen Sie am liebsten?
Wahrscheinlich am Meer, wo man vom Buch aufblicken und seine Gedanken dem Gleichmaß oder auch dem Ungestüm der Wellen überlassen kann.
Wofür legen Sie jedes Buch beiseite?
Für Mascha, meine Barsoi-Hündin. Wenn sie raus muss, muss sie raus.