Interview mit Ruth Ware
In ›Hinter diesen Türen‹ spielt Technik eine entscheidende Rolle. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, die Geschichte in einem Haus mit intelligenter Technik spielen zu lassen? Haben Sie selbst Erfahrungen damit bzw. nutzen Sie Smart-Home-Technologien?
Ich bin genauso süchtig nach meinem Handy wie viele andere Leute heutzutage auch, aber zu Hause habe ich keinerlei Smart Home Geräte (außer man würde meinen Bluetooth-Lautsprecher mitzählen). Dieses Gefühl, dass ständig mitgehört werden kann, behagt mir nicht, und ich war schon in genug Hotelzimmern mit frustrierend komplizierter Lichtsteuerung, um einen gewöhnlichen Schalter vorzuziehen. Die Idee für das Buch kam mir, nachdem ich viele Zeitungsartikel über das neue Phänomen des „Missbrauchs digitaler Technik“ gelesen habe. Dazu kann es kommen, wenn ein Partner in einer Beziehung sehr technik- und internetaffin ist und die Smart Home Zentrale, Überwachungskameras oder die Wifi-Lautsprecher installiert. Für gewöhnlich versteht dieser Partner das System und besitzt alle Passwörter, während der andere Partner die Systeme nur mitnutzt, weil es bequemer so ist. Kommt es allerdings zu einer Trennung und der technisch nicht so versierte Partner bleibt alleine im Zuhause voller Geräte, die er nicht versteht und kontrollieren kann, können Probleme entstehen. Was anfangs einfach nützlich war, um Musik zu streamen oder die Beleuchtung und Heizung zu steuern, kann nun zur Kontrolle oder Überwachung eingesetzt werden. Es gab schon Fälle, bei denen Leute ihren Ex-Partner mithilfe von Überwachungskameras gestalkt und sich in die Smart Home Systeme eingehackt haben, um so mitten in der Nacht die Beleuchtung oder die Heizung zu verändern oder um drei Uhr morgens ohrenbetäubend laute Musik abzuspielen. Vor fünf Jahren wäre so etwas überhaupt nicht möglich gewesen. Jetzt gibt es ganze Ratgeber im Internet, wie man „digitales Detox“ betreibt, wenn eine Beziehung zu Ende ist, um sicherzugehen, dass der Ex-Partner keinen Zugang mehr zu den digitalen Accounts hat und einen nicht mithilfe der Technologie ausspähen kann. Das ist etwas, das sich seit meiner Datingzeit extrem verändert hat – und jede Situation, die so stark im Wandel begriffen ist, ist für AutorInnen interessant. Wir sind ja immer noch dabei, herauszufinden, wie man mit solchen Dingen richtig umgeht und wie viel Kontrolle man wirklich an die Technik abgeben möchte.
Der bloße Gedanke an eine Nanny, allein mit zwei Kindern in einem großen abgeschiedenen Haus kann einem eine Gänsehaut einjagen und stellt eine klassische Konstellation in gruseligen und düsteren Geschichten dar. Was denken Sie ist der Grund dafür und was ist es, das diese Nanny-Kinder-Beziehung so besonders macht?
Ich bin mir nicht ganz sicher, aber es ist jedenfalls etwas, mit dem sich unsere Gesellschaft sehr unwohl fühlt! Ich denke, das ist deshalb so, weil es sich um eine ganz eigene Art von Beziehung handelt, mit großer Verletzlichkeit auf beiden Seiten. Als Elternteil vertraut man den wichtigsten Menschen in seinem Leben einem komplett Fremden an – und das kann sich extrem beängstigend anfühlen, so normal es auch ist. Und als Nanny ist man auf eine ganz andere Art verletzlich – plötzlich lebt man im Haus fremder Leute und geht eine sehr intime Beziehung mit jemandem ein, den man eigentlich noch gar nicht so gut kennt. Man läuft Gefahr, der Verletzung oder Misshandlung des Kindes beschuldigt zu werden, ohne dass man viele Möglichkeiten hat, seine Unschuld zu beweisen, falls dem Kind etwas zustößt, während man im Haus ist. Auf beiden Seiten braucht es enormes Vertrauen – und ist dieses Vertrauen erst einmal zerstört, kann das böse Folgen haben. Im viktorianischen Zeitalter waren die Leute besessen von dem Gedanken, dass ihre Hausangestellten Schlimmes im Schilde führen könnten – sie hatten große Angst davor, jemanden im eigenen Haus zu haben, der plante, ihnen Schaden zuzufügen, sie zu betrügen oder gar zu vergiften. Heutzutage haben die meisten Menschen keine Dienstboten mehr, kein Personal, das im Haus wohnt – außer Kindermädchen und Au-pairs. Nur in diesem Lebensbereich gibt es das noch, es ist eine direkte Verbindung von unserer Welt zu der in 'Das Durchdrehen der Schraube' von Henry James.
Es gelingt Ihnen sehr gut, Ihre Bücher atmosphärisch zu gestalten, egal ob die Geschichte auf einem Kreuzfahrtschiff oder einem alten herrschaftlichen Haus spielt. Wie sieht Ihre Recherche aus? Besuchen Sie ähnliche Orte, um sich inspirieren zu lassen oder entwickeln Sie die Szenerie allein in Ihrer Fantasie?
Vielen Dank! Manchmal basieren die Schauplätze auf realen Orten – als ich ›Der Tod der Mrs Westaway‹ schrieb, hatte ich zum Beispiel ein echtes Herrenhaus vor Augen, und die Kleinstadt in ›Wie tief ist deine Schuld‹ basiert auch auf einem realen Ort. Aber häufiger entspringen die Schauplätze meiner Fantasie. Ich war noch nie auf einer Kreuzfahrt und auch noch an keinem Ort wie Heatherbrae House – auch wenn ich den Teil der Highlands, in welchem die Geschichte spielt, sehr gut kenne. Ich habe eine sehr bildliche Vorstellungskraft und liebe es, ein Haus in meinem Kopf zu entwerfen und mir vorzustellen, welche Möbel und Dekoration ich aussuchen würde und wie ich die Räume gestalten würde. Ich schätze, das ist die Erwachsenenversion des Spielens mit einem Puppenhaus!
Sie werden oft als die „moderne Agatha Christie“ bezeichnet. Haben Sie beim Schreiben besondere Vorbilder? Wer sind Ihre Lieblingsautoren?
Ich bewundere Agatha Christies Arbeit Krimikunst sehr. Sie ist so gut darin, sich unmögliche Fälle auszudenken und dann zu erklären, wie sie die ganze Zeit eben doch möglich waren - und die Auflösung ist immer äußerst zufriedenstellend. Am Ende eines ihrer Romane fühlt man sich als Leser nie betrogen. Es ist leicht, einen unwahrscheinlichen Mörder aus dem Hut zu zaubern, indem man einfach alle Hinweise auf ihn versteckt. Wirklich schwierig ist es aber, einen Krimifall so aufzubauen, dass die Hinweise zu seiner Auflösung eigentlich offen zutage liegen, der Leser aber trotzdem bis zur letzten Minute im Unklaren bleibt. Ich finde, darin ist sie brillant. Was die Figuren angeht, liebe ich Daphne du Maurier. Ihr gelingt es unheimlich gut, komplizierte, konfliktbeladene und dreidimensionale Charaktere zu erschaffen, und sie dringt dabei auf eine unglaublich intime Art und Weise in deren Köpfe ein.